
Warum Deutschland für die türkische Demokratie einstehen muss
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Der türkische Präsident Erdogan hat sich in den letzten Jahren immer mehr zum Autokraten entwickelt.
© Bildnachweis: IMAGO/Pacific Press Agency
Berlin. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan präsentiert sich gerne als starker Mann im eigenen Land, besonders vor Wahlen. Deutschland kann davon ein Lied singen, man erinnere sich an den Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker aus der Vergangenheit. Ein Konflikt, der in Ankara so eskalierte, dass die Bundesregierung solche Aufführungen 2017 endgültig verbot. In weniger als vier Monaten stehen Präsident und Parlament der Türkei zur Neuwahl an, diesmal versucht Erdogan, sich im Streit zu profilieren Nato.
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Aufgrund des imperialistischen Expansionsdrangs von Kremlchef Wladimir Putin drängen Schweden und Finnland in die Nato. Erdogan blockiert bisher die Norderweiterung. Zunächst warf er beiden Ländern vor, gegen kurdische Gruppen gerichteten Terrorismus zu unterstützen. Dann ärgerte ihn eine Erdogan-Puppe in Stockholm. Nun nutzt er die Tatsache aus, dass ein einsamer islamfeindlicher Provokateur in der Nähe der türkischen Botschaft in der schwedischen Hauptstadt einen Koran verbrannt hat.
In der Nato wachsen seit langem Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bündnispartners. Das enge Verhältnis zwischen Erdogan und Putin, die sich gegenseitig als “Freunde” bezeichnen, wird mit Argwohn betrachtet. Die USA hingegen sind zu einem bevorzugten Prügelknaben für Erdogans konservativ-islamische AKP geworden, eine Rolle, die Deutschland früher hatte. Allerdings gilt es als Sünde, dass Ankara trotz aller Warnungen 2017 das russische Raketenabwehrsystem S400 gekauft hat.
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Erdogan hat es schwer
In den westlichen Hauptstädten dürfte es daher ein kollektives Aufatmen geben, wenn Erdogan und die AKP nach mehr als 20 Jahren abgewählt werden. Meinungsumfragen legen nahe, dass dies möglich ist. Besonders die Inflation macht Erdogan Sorgen, die Inflationsrate lag zuletzt bei 64 Prozent – und Experten halten diese Zahlen noch immer für geschönt.
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Warum es diesmal um Recep Tayyip Erdogan geht
Die Türkei steht vor der vielleicht wichtigsten Abstimmung in der 100-jährigen Geschichte der modernen Republik.
Ein Sechserbündnis soll dafür sorgen, dass die Erdogan-Ära zu Ende geht. Aber Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Opposition haben solche Pläne zuvor vereitelt. Ob die Opposition eine Chance hat, wird nicht nur von ihrer Geschlossenheit abhängen – sondern auch davon, wie frei und fair die Wahl ausfallen wird. Optimismus ist hier fehl am Platz.
Vom hoffnungsvollen Erdogan, der 2004 in Berlin als „Europäer des Jahres“ ausgezeichnet wurde, ist aus westlicher Sicht wenig übrig geblieben. Stattdessen ist Erdogan zum Autokraten geworden. Der britische Economist warnt: „Das Verhalten von Herrn Erdogan vor den Wahlen könnte eine zutiefst fehlerhafte Demokratie in eine vollwertige Diktatur verwandeln.“
Erdogan: Die Türkei unterstützt die Nato-Mitgliedschaft Schwedens nicht
Protestaktionen in Schweden hatten zuletzt zu erneuten Problemen mit der Türkei geführt.
© Quelle: dpa
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Jahrelang haben Europa und die Vereinigten Staaten dem Niedergang der Demokratie hilflos zugesehen, da ihnen eine Strategie fehlte, um mit der Türkei und ihrem ungeliebten Präsidenten umzugehen. Gleichzeitig muss das Abgleiten des Nato-Staates in eine Diktatur verhindert werden. Die negative Entwicklung in der Türkei wirkt sich immer besonders stark auf Deutschland aus.
Nirgendwo außerhalb der Türkei leben mehr Türken als in Deutschland, und Erdogan erfreut sich hier überproportional großer Beliebtheit. Die Bundesrepublik muss daher ein besonderes Interesse daran haben, sich für die Demokratie in der Türkei einzusetzen. Die Krisenjahre 2016/2017 haben gezeigt, dass Deutschland mehr Einfluss hat, als Erdogan sich vorstellen konnte. Als die bilateralen Beziehungen den Tiefpunkt erreichten, versuchte Ankara zu deeskalieren. Nicht aus übertriebener Deutschland-Hingabe – sondern aus Angst vor den wirtschaftlichen Folgen.